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Haben ergänzende bilanzierte Diäten noch eine Zukunft?

Ergänzende bilanzierte Diäten – Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke – bislang eher ein Ersatz für nicht zugelassene Arzneimittel oder doch eher ein seriöser ernährungsmedizinischer Beitrag für Patienten, die einen spezifisch erhöhten Nährstoffbedarf haben?
Zumindest was die Rechtsprechung der letzten Jahre in Deutschland anbelangt, sind die ebD’s doch eher „verkappte“ Arzneimittel. Nicht umsonst wird die Forderung nach randomisierten kontrollierten Studien sogenannten RCT’s (englisch: randomized controlled trial) immer stärker. Diese auf dem „Goldstandard“ ausgerichteten Studien stehen auf der Top-Rangliste für medizinischen Studien. Die evidenzbasierte Medizin betont die Wichtigkeit von RCTs als beste Grundlage zum empirischen Nachweis der Wirksamkeit medizinischer Behandlungen um patientenorientierte Entscheidungen zu treffen – und das nun auch für diätetische Lebensmittel?

Kann und darf das sein?
Auslöser dieser Entwicklung waren wohl wieder die „schwarzen Schafe“ der Industrie. Übertriebene Werbebotschaften, verbunden mit einfachen Nährstoffsupplementen oder Kombinationen mit arzneimittelnahen Substanzen riefen Abmahnvereine, Konkurrenten und letztendlich Gerichte auf den Plan, die zu dieser Entwicklung führten.

Jetzt soll damit Schluss sein
Bislang ist diese besondere Art der Lebensmittel im Rahmen der Diätverordnung reguliert. Ab 20. Juli 2016 wird diese abgelöst durch die EU-weit gültige Verordnung (EU) 609/2013 über Lebensmittel für Säuglinge und Kleinkinder, Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke und Tagesrationen für gewichtskontrollierende Ernährung, kurz Verordnung über Speziallebensmittel. Alle anderen Kategorien an Lebensmitteln für eine besondere Ernährung werden damit abgeschafft. Diskutiert werden derzeit nur noch spezielle Lebensmittel für Sportler. Dieser Frage widmet sich die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

Was ändert sich?
Die Definition „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ wurde gegenüber der Diätverordnung abgeändert in „unter ärztlicher Aufsicht zu verwendende Lebensmittel zum Diätmanagement von Patienten, einschließlich Säuglingen, die in spezieller Weise verarbeitet oder formuliert werden; sie sind zur ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter, darin enthaltener Nährstoffe oder Stoffwechselprodukte oder von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf bestimmt ist, für deren Diätmanagement die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht.“
Die deutsche Begriffsdefinition „zur diätetischen Behandlung von …..“, wird „ zum diätetischen Management von …..“ abgeändert. Aus Marketingsicht eine Katastrophe, wenn das Wörtchen „Behandlung“ wegfällt! Aus Sicht der Rechtsabteilung ein Aufatmen, denn die „unbeabsichtigte“ Nähe zum Arzneimittel entfällt und damit unter Umständen auch die Häufigkeit von Gerichtsverfahren und Wettbewerbsstreitigkeiten.

Delegierte Rechtsakte
Im Detail werden sich die Regelungen zu bilanzierten Diäten in einem delegierten Rechtsakt wiederfinden, der zurzeit in einer Entwurfsfassung vorliegt. Diese delegierten Rechtsakte könnten zu einem sehr komplizierten Nadelöhr für die Industrie werden.

Anzeigepflicht
Die Verfahren, die mit der Vermarktung der bilanzierten Diäten verbunden sind, werden sich ebenfalls ändern. Die alleinige Anzeige beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) unter Vorlage des Etiketts reicht künftig nicht mehr aus. Zusätzliche Informationen müssen eingereicht werden, die möglicherweise von den Behörden nachgefragt werden. Dies ist zwar noch keine Zulassungspflicht, es bedeutet aber, dass vor der Produkteinführung ein umfassendes Dossier vorliegen muss. Für viele Vermarkter zum derzeitigen Zeitpunkt unvorstellbar und auch aus personellen Gründen nicht zu bewerkstelligen.

Die Rolle der EFSA
Bezweifeln die Behörden die diätetische Zweckbestimmung und Eignung, wird unter Umständen die EFSA auf Veranlassung der Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission mit der Bewertung betraut. Am 07.08.2015 hat die EFSA dazu den Entwurf eines Leitfadens veröffentlicht. Dieses Dokument zeigt deutlich, welche Anforderungen in Zukunft auf die Hersteller von bilanzierten Diäten zukommen werden. Wie die EFSA mit bisherigen Anträgen verfährt ist nun hinreichend bekannt und wird auch für die ebD’s kein Spaziergang werden!

Ein Dossier – ein Muss!
Die Richtlinie ist in sechs Teile gegliedert:
• verwaltungstechnische Angaben
• Charakterisierung der Lebensmittel
• Charakterisierung der Krankheit
• Störung oder Beschwerde
• Patienten, für die das Produkt bestimmt ist
• Angaben zu den Verwendungsweisen und schließlich ein Beleg für die Wirksamkeit adäquat zur Indikation

Das ist weit mehr als es bisher übliche Praxis war. Zur Charakterisierung des Lebensmittels müssen Details zu den physikalisch-chemischen Eigenschaften, dokumentiert durch Analysen von zertifizierten Laboren, die Beschreibung des Herstellungsprozesses und Informationen zur Stabilität vorgelegt werden.
Zur Charakterisierung der Krankheit, Störung oder Beschwerde muss eine Art Fragebogen ausgefüllt werden. Idealerweise sollen auch allgemein anerkannte, eindeutige und objektive Kriterien zur Diagnose vorgelegt werden. Ist diese nicht gegeben, ist das Unternehmen aufgefordert entsprechende Belege durch valide wissenschaftliche Veröffentlichungen oder durch eigene Untersuchungen und Studien vorzulegen. Eine Herausforderung wird es werden, den Beweis zu erbringen die Krankheit oder Störung ursächlich zu dem spezifischen Nährstoffmangel in Zusammenhang zu bringen. Erschwerend kommt hinzu, zu belegen, dass dieser Nährstoffmangel nicht mit herkömmlicher Nahrung inklusive Nahrungsergänzungsmittel und funktionellen Lebensmitteln ausgeglichen werden kann. Es wird auch nicht ausbleiben, dass der Nachweis der Effektivität durch klinische Humanstudien erbracht werden muss – im Idealfall auch durch placebokontrollierte Doppelblindstudien. Obwohl festzuhalten ist, dass in der Richtlinie nicht explizit von Doppelblindstudien zu Rede ist.

Was bleibt?
Die Positivlisten für Vitamine, Mineralstoffe, weitere ernährungsphysiologische Stoffe wie Aminosäuren oder Nucleotide bleiben und die Möglichkeit für weitere Produktformulierungen. Positiv für die Marketingabteilung ist auch die uneingeschränkte Möglichkeit der Fachkreisewerbung, welche für Nahrungsergänzungsmittel mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr gestattet ist.

Übergangsfristen
Tritt die delegierte Verordnung in Kraft so bleibt eine Übergangsfrist von drei, bei bilanzierten Diäten, für Säuglinge sogar von vier Jahren.
Dennoch eröffnen sich neue Chancen!
Die Möglichkeit, „harte“ gesundheitsbezogene Aussagen treffen zu können, sollte die Industrie anspornen, eine wissenschaftlich fundierte Vorarbeit zu leisten und ein lückenloses Dossier zu erstellen. Die Chancen für ein nachhaltig erfolgreiches Produktkonzept erhöhen sich damit enorm. Die Marketingabteilung wird sich darüber freuen und die Rechtsabteilung wird keine lähmenden Rechtsverfahren mehr ausfechten müssen.

Unterstützung durch die Steiner-Projektberatung
Die Steiner-Projektberatung ist darauf spezialisiert, solche Produktkonzepte zu entwickeln und in enger Kooperation mit wissenschaftlichen Institutionen, Sachverständigen und spezialisierten Rechtsanwälten zu untermauern.

20.08.2015

 

*Dr. Marion Gebhart
RDA Scientific Consultants GmbH

**Xaver Steiner
Steiner-Projektberatung

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